Auszug aus der Einleitungrede von Botho Karger
am 20.05.2006 in der Heilig-Kreuz-Kirche
Die Kirche ist mit ca. 400 Besuchern gefüllt. Simon Jakob Drees und Botho Karger stehen vor dem Publikum, um den Abend für die zeitgenössische Chormusik Mirkaledo Krabat mit einleitenden Worten zu eröffnen.
„...Im Zentrum der Arbeit der letzten drei Jahre stand der Chor - die Entwicklung des Klanges, die Entwicklung der jeweils eigenen Stimme.
Inspirationsquellen für das Werk waren die beiden Romane des Sorbischen Schriftstellers Jurij Brezan „Die schwarze Mühle“ und vor allem „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“. Der letztgenannte Roman ist in seiner Form radikal experimentell. Raum und Zeit sind aufgehoben, die handelnden Personen zersplitten sich in verschiedene Ich’s und fliegen gewissermaßen handelnd in einer Zeitmaschiene vom Barock zur Renaisance zur Moderne und wieder zurück.
Wir hatten die Gelegenheit, 3 Monate bevor Jurij Brĕzan fast 90-jährig am 12. März dieses Jahres starb, ihn zu besuchen, in seiner sorbischen Heimat Räkelwitz, und mit ihm über seinen großartigen Roman zu sprechen.
Ich möchte daraus zwei kleine Aspekte nennen, die er in diesem Gespräch uns übermittelt hat.
Der erste war: die unglaubliche Angst, die er hatte, die Angst diesen Roman zu schreiben, sich dieser Befragung und Selbstbefragung zu stellen. Er hat den Beginn des Schreibens von Monat zu Monat hinausgeschoben, hatte Angst vor dem ersten Satz, und erst als er durch einen schweren Unfall einen Monat lang das Bett im Krankenhaus hüten musste, fiel ihm der erste Satz ein - und er hat dann sechs Jahre an diesem Roman geschrieben.
Der zweite Aspekt, den er uns genannt hat, war: das Wort, das jeweils eigene Wort, das Wort, das in der Lage ist, zu verwandeln, ihn selbst und den Anderen, und vielleicht, so sagte er, die Welt.
Entsprechend geht es uns heute Abend um den Klang: um den jeweils eigenen Klang, um die jeweils eigene Stimme, die Entwicklung dieses Klangs, der in der Lage ist zu verwandeln - uns selbst und den Anderen...."